Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn
Emil kann es
nicht fassen. Schon von weitem erkennt er einen Reisigbesen an die Rückseite
seines Hauses angelehnt. Ein Schauer geht durch seinen Körper. Er hasst diese
Zeit – die Zeit vor Hexennacht. Als könnte tatsächlich jemand mit einem Besen
über ihm schweben, schaut er suchend nach oben. Aber der Himmel zeigt nur sein
schönstes Azurblau.
Mit wütenden
Schritten stampft er auf den Besen zu. Ein Zettel hängt daran, darauf steht:
„Kommt ein Besen aus Reisig, lass dich von mir umarmen, sonst wird‘s dir eisig!“
Das ist der
Hammer!
Emil wirft
verstohlen einen Blick zum Nachbarhaus, das ruhig in der Nachmittagssonne
schmort. Diese Frau ist eine Hexe, da ist sich Emil ganz sicher. Nächtelang
feiert sie. Vermutlich gehören diese Orgien zur Vorbereitung für Walpurgisnacht.
Er stöhnt. Seit
diese Frau im Nachbarhaus wohnt, ist es mit seiner Ruhe vorbei. Wenn sie glaubt,
ihn mit zweideutigen Geschenken aus der Fassung bringen zu können, dann hat sie
sich aber getäuscht. Er nimmt den Besen, bricht ihn in der Mitte entzwei und
legt ihn zum Feuerholz. Die Abende sind noch kalt, da schadet ein Feuerchen im
Kamin bestimmt nicht. Und was brennt besser als Reisig?
Zufrieden mit
sich und seiner Taktik geht er an die Gartenarbeit, die beste Methode nach
stressigen Tagen seine Seele baumeln zu lassen.
Als er am
folgenden Tag nach der Arbeit auf sein Haus zusteuert, sieht er schon von
weitem einen Reisigbesen. An der gleichen Stelle wie am Vortag.
Eine
Unverschämtheit!
Was plant diese
Hexe von Nachbarin schon wieder? Wenn sie ihn aus seinem Haus vertreiben will,
muss sie sich schon etwas Besseres ausdenken.
Er reißt den
Zettel ab, auf dem dieses Mal steht: „Nimm neben diesem Reisigbesen - auch
meine Liebkosung, sonst wirst du verwesen.“
Das gibt es doch
nicht! Schon wieder wirft Emil einen Blick gen Himmel! Schon wieder kann er nur
strahlendes Blau sehen. Keine herumfliegende Hexe, nichts …
Mit unbändiger
Wut schlägt er auf den Besen ein, bis nur noch kleine Holzstücke und Splitter übrigbleiben.
Die fegt er mit seinem richtigen Besen zusammen und legt sie vor den Kamin, um
damit am Abend das Feuer zu entfachen.
Es dauert lange,
bis sich sein Puls wieder beruhigt. Ständig schaut er auf das Haus seiner
Nachbarin und glaubt tatsächlich, ihren Rotschopf zu erkennen. Vermutlich
beobachtet sie ihn und heckt in aller Ruhe ihren verhexten Plan aus, ihn zu
vertreiben.
Die wird ihn mal
kennenlernen …
Schon morgen ist
Walpurgisnacht! Genau das richtige Fest für diese Person, die ihn nervt, seit
sie in das benachbarte Haus eingezogen ist. Ständig macht sie Lärm bis zum
frühen Morgen. Er kann die laute Musik und das Gekicher der Weiber, die dort
regelmäßig campieren, nicht mehr ertragen.
Seine Anzeigen
bei der Polizei sind regelmäßig darin geendet, dass die Polizisten, die sich
vor Ort umsehen wollten, allesamt in dem Haus verschwunden und nicht mehr
herausgekommen sind. Noch eine Bestätigung dafür, dass es bei dieser
rothaarigen Hexe nicht mit rechten Dingen zugeht.
Sogar die Arbeit
im Garten schafft es nicht mehr, ihn zu beruhigen. Nachdem er einige Beete mit
seinen hastigen Bewegungen ruiniert hat, gibt er auf, wirft die Schippe wütend
auf den Boden und geht ins Haus. Von dort aus muss er das Nachbarhaus nicht
mehr sehen, weil er die Läden zu dieser Seite dauerhaft verschlossen hält. Das ist
der einzige Trost, der ihm noch bleibt.
Nach einer
schlaflosen Nacht fällt Emil der letzte Arbeitstag im Monat April doppelt
schwer. Er ist heilfroh, als er endlich Feierabend machen kann.
Doch das, was er
schon von weitem sieht, kann und will er nicht glauben. Dort steht ein
Reisigbesen.
Schlagartig
verfliegt seine Müdigkeit und weicht einem grenzenlosen Zorn. Er beschleunigt
seine Schritte.
Doch was
passiert jetzt?
Der Postbote
dieser Straße taucht plötzlich hinter seinem Haus auf, geht auf den Besen zu und
steckt einen Zettel dran.
Kann das wahr
sein? Ist es der Postbote, der ihm diese Avancen machte?
Das wird ja
immer schlimmer!!!! Ein Perverser, der sich an Emil ranmachen will … er bekommt vor Schreck keine Luft mehr.
Er sprintet los,
springt über den kleinen Gartenzaun und erreicht mit nur einem Satz den
Hinterhof, in dem der Besen steht. Der Postbote ist bereits um die Hausecke
verschwunden.
Emil reißt den
Zettel ab und liest: „Der dritte Besen ist ein Wink mit dem Scheunentor, denn
ich bin verliebt in dich vom linken bis zum rechten Ohr!“
Das ist der
Gipfel. Gerade will er dem Postboten hinterherlaufen, als dieser vor ihm
auftaucht und lachend sagt: „Ich habe den Besen …“
Doch Emil lässt
ihn nicht zu Wort kommen. Mit einem Schlag liegt der Postbote auf dem Boden und
hält beide Hände schützend vor das Gesicht.
„Aber, das
verstehen Sie falsch…“, versucht er zu erklären, aber ohne Erfolg. Emil greift nach
der Schippe, die er am Vortag achtlos liegengelassen hat und schlägt damit
mehrmals auf den am Boden liegenden Mann ein.
„Ihre Nachbarin
…“, setzt der erneut an, womit er Emil nur noch wütender macht.
Als kein Laut
mehr vom Postboten kommt, hält Emil inne und schaut auf den Daliegenden. Die Augen
sind geöffnet - keine Regung mehr zu sehen. Auch auf Emils Berührungen reagiert
er nicht. Dieser Mann ist tot.
Meine Güte! Was
hat er nur gemacht?
Panisch schaut
er sich um. Niemand zu sehen. Auch im Nachbauhaus kann er den Rotschopf
nirgends entdecken.
Wild
entschlossen erobert er den Garten und gräbt ein Loch. Es kostet ihn mehr Mühe,
als er erwartet hat. Doch nach zwei Stunden ist der Postbote vergraben und
nichts mehr von ihm zu sehen. Er klatscht in die Hände!
Das war ein Akt
der Befreiung!
Zufrieden geht er
ins Haus.
Das Klingeln
seines Telefons stört ihn. Jetzt will er nur noch in Ruhe unter die Dusche.
Doch er kommt nicht umhin. Da er keinen Anrufbeantworter hat, schrillt das
Gerät unbarmherzig weiter.
Kaum hat er den
Hörer in der Hand hört er ein leise gehauchtes „Danke!“
Mehr nicht. Eine
Frauenstimme.
„Was soll das?“,
fragt Emil verwirrt.
„Ich bedanke
mich bei Ihnen, dass Sie mir diesen aufdringlichen Postboten vom Hals geschafft
haben.“
Emil spürt
Gänsehaut hochkriechen. „Ich verstehe nicht …“
„Wie auch?“ Ein
heiseres Lachen ertönt. „Ich habe über die Postzentrale veranlasst, dass der
lästige Postbote, meine Pakete beim Nachbarn – bei Ihnen - abgibt, falls ich
nicht zuhause bin.“
Emil wird schwindelig.
„Bei der
Gelegenheit haben Sie sich gleich mit entsorgt – ohne es zu wissen.“ Sie lacht.
„Was soll das heißen?“
„Ich suche
meinen Seelenfrieden und ein Haus für meine Schwester“, bekommt er prompt die
Erklärung. „Sobald die Polizei Sie verhaftet hat, ist Ihr Haus frei, Friede
kehrt ein und mein Schwesterlein!“
Polizeisirenen
ertönen, werden immer lauter und kommen direkt vor Emils Haus zum Stehen.
„Du verdammte
Hexe“, lauten die letzten Worte, der er noch in den Hörer fluchen kann. Schon
wird das Haus gestürmt.
© Elke Schwab
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